Stimmforschung: Was die Stimme alles verrät

Von direkten Mitmenschen sagt man, dass sie ihre Seele auf der Zunge tragen. Tatsächlich verrät die Art, wie wir reden, mehr über uns, als viele ahnen. Sogar Krankheiten wollen Experten heraushören können

von Marlen Schernbeck, 15.10.2019
Wut im Wort: Ärger zeigt sich in Stimme und Sprechweise

Wut im Wort: Ärger zeigt sich in Stimme und Sprechweise


Angela Merkel sei zwar keine große Rednerin, aber der Effekt ihrer Stimme und Sprechweise sei nicht zu unterschätzen, sagt Professor Walter Sendlmeier, Leiter des Instituts für Sprache und Kommunikation an der Technischen Universität (TU) Berlin. Seit 2001 analysiert er, wie die Kanzlerin kommuniziert – und wie das bei Zuhörern ankommt.

Das Ergebnis: Indem die Politikerin alles sehr gleichmäßig betone, wirke sie unaufgeregt und sachlich. Ihre mittlerweile tiefere Stimmlage strahle Kompetenz aus, der gleichzeitig helle Stimmklang lasse sie wohlwollend erscheinen. Und die teils undeutliche Aussprache?

"Volksnah", resümiert Experte Sendlmeier. Allerdings müsse man die Wirkung immer im Sinnzusammenhang betrachten: In Konfliktsituationen zum Beispiel könne Merkels insgesamt be­ruhigende Sprechwirkung irgendwann auch Wut beim Gegenüber auslösen.

Der Klang der Emotionen

Es ist nicht nur wichtig, was ein Mensch sagt – sondern vor allem, wie er es sagt. "Sobald jemand den Mund aufmacht, verrät er immer auch etwas über sich selbst. Er kann das gar nicht verhindern", erklärt Sendlmeier.

Neben Hinweisen auf Geschlecht, Alter, Herkunft und Bildungsgrad spiegle die Stimme sogar Teile der Persönlichkeit wider und verrate, wie wir uns fühlen. So lasse sich heraus­hören, ob jemand gerade ärgerlich, traurig, ängstlich oder fröhlich ist.

Stimmkurven-Diagramm

Der Tonhöhenverlauf spiegelt Gefühle

Die Emotionen eines Menschen lassen sich auch daran erkennen,
wie hoch und variationsreich er spricht.

Ist jemand ärgerlich (rot), so ist die Stimmlage insgesamt erhöht. Innerhalb eines Satzes wechselt die Tonhöhe abrupt. Geht die Stimme in einer Silbe steil nach oben, fällt sie danach wieder ab.

Spricht jemand traurig (grau), schwingen die Stimmlippen langsamer, dadurch klingt die Stimme tiefer. Während eines Satzes wird die Tonhöhe kaum variiert.

Ein betrübter Mensch spricht vergleichsweise tief und gedämpft. Er redet undeutlich, betont weniger, hält die Stimme meist auf einer Tonhöhe. Bei einer wütenden Person passiert das Gegenteil: Die Stimme rutscht deutlich nach oben, der Stimmklang wird heller. Man betont nahezu jede Silbe, spricht überaus deutlich und springt auf und ab in der Tonhöhe (siehe dazu Grafik).

Schlaff oder straff? Eine Frage der Stimmung

Die Ursache dafür liegt in den Muskeln, genauer in ihrem Spannungszustand. Dieser ändert sich je nach Emotion. Ist man traurig, sind die Muskeln schlaff. In ärgerlichem Zustand spannen sie sich an. Das äußert sich im gesamten Körper – auch in den kleinen Muskeln im Kehlkopf, wo die Stimmlippen liegen.

Diese bestehen selbst aus Muskelsträngen und sind zudem über sogenannte Stellknorpel mit weiteren Muskeln verbunden. Deren Spannung beeinflusst, wie und wie oft die Stimmlippen schwingen. Bei Anspannung schwingen sie häufiger, der erzeugte Ton wird höher.

Interaktive Grafik: Auf (+) clicken, um den Querschnitt des Kehlkopfs zu sehen. Dort sind die Stimmlippen aufgespannt. Fangen sie an zu schwingen, entsteht ein Klang. Geformt wird er durch die Resonanzräume in Mund, Nase und Rachen. Sie wirken wie ein Filter und geben der Stimme ihren Charakter. Die Ausatemluft drückt die elastischen Stimmlippen auseinander. Durch einen ­Unterdruck schließen sie sich sofort wieder. Sie schwingen.

 

Rund 1400 Nervenimpulse pro Sekunde steuern unseren komplexen Sprech­­apparat. Er erstreckt sich über die Stimmlippen hinaus vom Rachen bis zu Mund und Nase, schließt Lunge, Gehirn und das Gehör mit ein.

"Funktioniert diese Steuerung nicht optimal, zeigt sich das recht schnell in der Stimme", erklärt Dr. Markus Brückl, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Sprache und Kommunikation an der TU Berlin. Er forscht zu stimmlichen Veränderungen bei neurodegenera­tiven Erkrankungen wie Parkinson, Multipler Sklerose oder Alzheimer.

Was es mit dem Stimmtremor auf sich hat

Da dann Nerven geschädigt sind, ist oft auch die Stimmbildung beeinträchtigt. Ein typisches Symptom vieler dieser Leiden: ein Stimmtremor, eine Art Zittern der Stimme. "Um kontrolliert Töne zu erzeugen, müssen die Stimmlippen unter einer gewissen Spannung und in einer bestimmten Position gehalten werden. Wenn das nicht sauber klappt, dann kommt es zum Zittern der Stimme", erklärt Brückl.

Häufig trete das bereits in einem frühen Krankheitsstadium auf, noch bevor sich andere Symptome zeigen. "Ein Stimmtremor könnte also früh auf eine neurodegenerative Erkrankung hinweisen."

Mann am Computer erforscht Stimmenkurve
Dr. Markus Brückl, Kommunikationswissenschaftler an der TU Berlin

Und damit vielleicht einen schnelleren Therapiebeginn einleiten. Derzeit entwickelt Brückl eine Software, die möglichst exakt feststellen soll, ob und wie stark das Zittern bei einem Patienten vorliegt. Dafür analysiert der Wissenschaftler die genauen physikalischen Eigenschaften eines Stimmtremors.

Zudem spielt er Logopäden oder anderen medizinischen  Fachleuten entsprechende Tonspuren vor. "Mein Ziel ist es zu erfassen, was genau die Hörer akustisch wahrnehmen – und dann einen technischen Algorithmus zu entwickeln, der so gut hört wie eine Expertenhörergruppe."

Erkrankungen zeigen sich in der Stimme

Die klinische Diagnostik will Markus Brückl jedoch keinesfalls ersetzen: "Um genau festzustellen, ob jemand tatsächlich an einer Erkrankung leidet, muss ein Arzt natürlich weitere Untersuchungen durchführen. Ein Stimmtremor kann lediglich einen ersten Hinweis geben."

Sobald die Software fertig ist, möchte er sie für die klinische Praxis bereitstellen. Neben der Frühdiagnostik könne sie dabei helfen, den Behandlungserfolg zu überwachen – indem sie anzeigt, ob sich der Stimmtremor eines Patienten verstärkt oder abmildert. Einem Forscherkollegen ist Ähnliches bereits gelungen.

Monitor und Lautsprecher
Stimmforschung am Monitor

Max Little, Professor für Mathematik an der Aston-Universität in Birmingham, hat ein Programm entwickelt, das in einer Studie mit 43 Personen diejenigen herausfilterte, die an Parkinson erkrankt waren – nur anhand der Stimme.

Die Trefferquote lag bei rund 99 Prozent. Little vergrößerte sein Experiment und sammelte etwa 17 000 Stimmdaten über das Telefon. Dabei war der Algorithmus jedoch ­­weniger erfolgreich. Die Trefferquote lag nur noch bei etwa 66 Prozent.

"Die Tonqualität am Telefon war viel schlechter als die Aufnahmen unter ­­Laborbedingungen im ersten Experiment", erklärt der Wissenschaftler.

Smartphones decken auf

Für seine aktuellen Studien ist er auf Smartphones umgestiegen. "Mit ihnen kann man neben der Stimme noch weitere Daten einfangen, die bei Parkinson eine Rolle spielen – zum Beispiel die Beschleunigung beim Gehen", so Little. Sein Ziel: über das Smartphone möglichst früh und unkompliziert Anzeichen von Parkinson erfassen.

Doch nicht nur neurologische, auch psychische Erkrankungen können sich in der Stimme niederschlagen, wie zum Beispiel eine Depression. Studien zeigen, dass sich betroffene Personen weniger kraftvoll bewegen und eingeschränkt sind in Mimik und Gestik. Das wirkt sich ebenfalls auf die winzigen Kehlkopfmuskeln aus.

Depressive Sprechmuster

Aktuell versuchen Experten, charakteristische Muster einer depressiven Sprechweise herauszuarbeiten. Irgendwann könnte auch hier ein Algorithmus bei der Diagnostik oder Über­wachung der Therapie helfen.

Trotz all des technischen Fortschritts rät Kommunikationswissenschaftler Sendlmeier zur Vorsicht. "Es gibt zum Beispiel starke Parallelen zwischen einer traurigen und einer depressiven Stimme und Sprechweise. Stützt man sich ausschließlich auf ein Programm und schaltet keine Experten dazwischen, die die Ergebnisse zu interpretieren wissen, besteht die Gefahr, dass es zu Fehldiagnosen kommt."

Eine Person ausschließlich anhand ihrer Stimme zu beurteilen oder ihr gar Krankheiten zu bescheinigen, das können selbst Experten nicht. Einem Menschen aber genau zuzuhören, das schadet nie. Auch das aufmerksame Ohr eines Laien kann zwischen den Zeilen hören.

Tipps gegen Heiserkeit

Die Stimme klingt rau, das Sprechen strengt an. Wodurch entsteht Heiserkeit, und wie lässt sie sich lindern?

"Heiserkeit ist ein Symptom einer Erkrankung", erklärt Dr. Eva Wimmer, Hals-Nasen-Ohren-Ärztin in München. Oft steckt eine harmlose Erkältung ­­dahinter. "Bleibt die Heiserkeit auch nach einem Infekt, sollte aber der Kehlkopf untersucht werden." Am häufigsten liegt dann eine Entzündung des Kehlkopfes vor, oder die Muskeln, die beim Sprechen beteiligt sind, werden falsch belastet. Auch Medikamente, Zysten, Polypen oder Tumore der Stimmlippen können Heiserkeit hervorrufen.

Die Therapie richtet sich nach der Ursache. Generell sollte man eine ­heisere Stimme schonen, empfiehlt Expertin Wimmer. Also möglichst wenig räuspern oder husten und nicht rauchen. Auch Sod­brennen kann heiser machen. Deshalb auf Speisen und Getränke verzichten, bei denen viel Magensäure produziert wird. Vor allem wer beruflich viel sprechen muss, sollte seine Stimme langfristig pflegen. "Gute Nasenatmung trocknet die Rachenschleimhäute weniger aus. Inhalieren, zum Beispiel mit Salbeitee, tut der Schleimhaut ebenfalls gut", rät Wimmer.

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